Identitätsstiftende Praxen

In Vietnam aufgewachsen und nach Deutschland gezogen. In Deutschland aufgewachsen und mit vietnamesischen Werten leben – viele Konfliktpunkte entstehen zwischen Personen, die in Vietnam geboren und aufgewachsen und erst als junge Erwachsene nach Deutschland migriert sind und denjenigen, die bereits als Kinder nach Deutschland gekommen oder dort geboren sind. Die Familienmitglieder gehen durch ihre unterschiedliche Sozialisation verschieden mit den Herausforderungen im Alltag um, wodurch Reibungspunkte entstehen können. Einer dieser Punkte ist die eigene Positionierung und Wahrnehmung der individuellen Identität. Wodurch wird diese produziert und beeinflusst?


Zwei markante Dimensionen eröffnen sich für Eltern und Kinder an dieser Stelle:

Zum einen das Aushandeln der Identität innerhalb der Familie – welche Rolle habe ich bzw. wird von mir abverlangt? Hierbei werden Altersunterschiede häufig aufgegriffen, bei denen mit zunehmendem Alter mehr Verantwortung aber auch Mitbestimmung getragen wird. Auch Themen wie die Wahrung vietnamesischer Traditionen und Werte, die sich in Bildungsweg und Familienbildern wiederspiegeln, sind Debatten, die geführt werden und in denen kontinuierlich die Balance zwischen den beiden kulturellen Identitäten gesucht wird. Dieser Prozess vom Finden der eigenen Positionierung in kulturellen Zwischenräumen formt hybride Identitäten, bei der sich die Person die Frage stellt ob und wozu sie zugehörig ist und wie sie sich selber begreift.

Zum anderen wird das Bild der Person im gesamtgesellschaftlichen Kontext gelesen (äußeres Auftreten, Sprachkenntnis) und darauffolgend mit Assoziationen zugeschrieben. Stereotype Annahmen, wie die Vietnames*innen als „Vorzeigemigrant*innen“, als „zuvorkommende und integrativ erfolgreiche“ Community sind Fremdzuschreibungen, mit denen diese stigmatisiert wird. Auch eine Verniedlichung mit der Begründung der Körpergröße und –bildern, die dem westlichen „starken“ Auftreten nicht entsprechen, führen zu Realitäten, die vielleicht gar nicht auf die betroffenen Personen übertragbar sind. Diese Aussagen sind von vielen als Kompliment formuliert; deswegen ist es eine schwierige und unbequeme Diskussion darüber zu sprechen, wieso genau diese Zuschreibungen kein erstrebenswertes Selbstbild ist, sondern eine Diskriminierungsform, die sehr präsent ist und als positiver Rassismus sehr manipulativ auftritt.


Rassismus als solchen benennen

Beim positiven Rassismus greifen die gleichen Diskriminierungsmechanismen wie auch bei negativem Rassismus: ohnehin schon marginalisierte Gruppen werden auf Grundlage ihrer Herkunft oder Hautfarbe auf diese Punkte reduziert. Das Problem beim positiven Rassismus ist die Ablehnung der Betroffenen in ihrer Aussage von Rassismuserfahrungen. Durch die „Komplimente“ und „positiven Eigenschaften“, wie „fleißige Vietnames*innen“, finden Fremdzuschreibungen statt, die im selben Moment Geschichten und Erfahrungen ausblenden. Mit dieser Herangehensweise findet eine weitere Abwertung marginalisierter Gruppen, in dem Fall die der vietnamesischen Community, statt.

Vor allem innerhalb der ersten Generation von eingewanderten Vietnames*innen, die bereits seit den 70er/80er Jahren in Deutschland wohnen, werden diese Stigmatisierungen teilweise angenommen. Durch weniger explizit lebensgefährliche Übergriffe, wie Rostock-Lichtenhagen 1992, verbesserte legale Bedingungen, wie mehr Chancen auf Bleiberecht, sowie einer finanziell verbesserten Situation, haben sich bereits viele wünschenswerte Lebensziele erfüllt. Diese Generation möchte somit nicht noch weiter „strapazieren“, was ihnen die Ankunftsgesellschaft „gegeben“ hat, um die Existenzgrundlage zu sichern, die sie sich aufgebaut haben. Das Harmoniebedürfnis und die Bequemlichkeit, Alltagsrassismen und Mikroaggressionen aus dem Weg zu gehen, ist einerseits Selbstschutz und eine Notwendigkeit, um Probleme zu vermeiden; andererseits führt ebendiese Konfliktscheuheit und das Nicht-Benennen von Rassismus auch zu nachteiligen Situationen für die betroffenen Personen, die nicht aus der ungerechten Konstellation von Diskriminierung herauskommen. Der Integrationsprozess in diesem Schritt wird daher vorrangig dadurch ermöglicht, indem die Vietnames*innen in Deutschland Anpassungen, Assimilationen in Kauf nehmen um den Alltag zu bewältigen. Die Möglichkeit, mehr Rechte einzufordern und auf Augenhöhe mit weißen Deutschen zu sprechen und den Zustand als Bittsteller*inposition zu beenden bleibt jedoch im Alltag und auf struktureller Ebene aus. Es stellt sich die Frage, wieso in dieser Situation Integration als Assimilation gelesen und umgesetzt wird.


Eigene Narrative von Integration

Im Austausch mit der Vorstellung von deutsch-vietnamesischen Beziehungen unterliegt die vietnamesische Community einer exotisierten und fetischisierten Position. Dies bedeutet, dass Vietnam als Herkunftsnation und damit auch ihre Community für wirtschaftliche Belange und Profitgedanken der deutschen Gesellschaft als ein Objekt gesehen wird, was „Ergebnisse erzielt“ und „Potenzial hat“. Hierbei wird aber der Aspekt ausgelassen, dass die Menschen eigene Kompetenzen, aber auch Ängste und Probleme mitbringen – was für jede Person unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit eigentlich selbstverständlich ist. Durch das Reduzieren auf fremdzugeschriebene Vorstellungen wird jedoch von vornherein die Möglichkeit verwehrt, in einem beidseitigen Austausch über Bedürfnisse und Chancen für vietnamesische Personen in Deutschland zu sprechen. Mit dieser einseitigen Narrative vietnamesischer Communitys in Deutschland, formen sich auch interne Strukturen innerhalb der Vietnames*innen in ebendiese Rollen, die diese stereotypen Bilder erfüllen wollen. Wirtschaftlicher Erfolg und gute Bildung sind keineswegs kulturspezifische Ziele, aber der Anspruch in der Leistungsfähigkeit, von der die anderen ausgehen, zu performen, ist groß. Der soziale Aufstieg wird hartnäckig angestrebt, sowohl für sich selber als auch für die Kinder, welches den Leistungsdruck enorm hoch setzt.

Dabei wird im Prozess des sozialen Aufstiegs jedoch vernachlässigt, dass es nicht nur um lieferbare Punkte, Noten und Geld geht, sondern auch auf soziale Gerechtigkeit und Freiräume für individuelle Talente ankommt. Der Aufstieg sollte nicht auf Kosten von Lebensneugier und wirtschaftlich unproduktiven Lernprozessen stattfinden.


Foto oben: Anh Le /Unsplash